INVITED: „Handheld Shooting“ – LEE YONGBAEK

Von: 13 / 09 / 2014
Bis: 15 / 11 / 2014

Die Einzelausstellung des Künstlers Lee Yongbaek wurde verlängert.

Der 1966 in Korea geborene Lee Yongbaek studierte an der Hongik University sowie an der Staatlichen Akademie für Kunst und Design in Stuttgart und bespielte mit seinen Multimedia Arbeiten auf der 54. Biennale in Venedig 2011 den Pavillon für Korea.Die Ausstellung in der WERKSCHAU zeigt Arbeiten aus den Bereichen Video, Fotografie, Installation und Malerei, die sich mit Themen wie Religion, Politik und Philosophie befassen und die Identität der koreanischen Gesellschaft verarbeiten.
Lee Yongbaek lebt und arbeitet in Seoul; seine Arbeiten wurden international ausgestellt u.a. im:
HOW Art Museum, Shanghai; 2011 Venice Biennale; Saatchi Gallery, London; 2009 Moscow Biennale; ZKM Karlsruhe; Center of Contemporary Art in Torun; The 3rd Nanjing Triennale; Museo Nacional de Bellas Artes, Buenos Aires; King’s Lynn Art Centre, London; Museo de Arte Contemporáneo, Santiago; Eli and Edythe Broad Art Museum, East Lansing, US; The Harris Museum, Preston, UK; National Museum of Modern and Contemporary Art, Seoul.

 

Reise in ein Reich der Hyperrealität – Die Kunst von Lee Yongbaek

Wollen wir in einer Welt leben, in der das Künstliche alles Natürliche und Organische ersetzt? In der wir nicht mehr unterscheiden können, was real ist was virtuell? In einem „Reich der Hyperrealität“, das der italienische Schriftsteller und Philosoph Umberto Eco 1975 bereiste „wo das Gute und Schöne, das Märchen und die Geschichte, wenn sie denn schon nicht Fleisch werden können, dann doch wenigstens Plastik.“? Eco bereiste damals die USA, das Land, das auch die zwei Kunstrichtungen hervorgebracht hat, die das Künstliche auf die Spitze trieben: die Pop Art, welche die Ikonen der Medien- und Werbewelt kraftvoll in Kunst verwandelte, und den Fotorealismus, der versuchte, die Naturtreue fotografischer Bilder mit malerischen Mitteln zu schlagen.

Wen es heute das Reich der Hyperrealität sucht, in dem alles Künstliche wirklicher als die Wirklichkeit wirkt, wird wahrscheinlich nicht mehr die USA bereisen. Für die aktuellen Spitzenleistungen des Synthetischen stehen inzwischen andere Länder, etwa China, Japan oder auch Südkorea, die Heimat von Lee Yongbaek.

Aufgewachsen in einem Land, das sich in wenigen Jahrzehnten von einer Agrargesellschaft in eine High-Tech-Industrienation verwandelte, ist Lee Yongbaek mit der Ersetzung des Organischen durchs Künstliche gleichsam groß geworden. Sein vielfältiges, verschiedenste Medien wie Malerei, Skulptur, Fotografie, Video, und digitale Animation umfassendes Werk ist von dieser Entwicklung geprägt. Bei aller Sinnen- und technischer Experimentierfreude stellt er auch stets die kritische Frage, wohin uns der technische Fortschritt führt und welche existentiellen Konflikte er verdrängt.

Doch Lee Yongbaek ist kein Moralist. Auch ernste Themen wie den Krieg geht er nicht moralisch, sondern mit einer leichten, aber entlarvenden Ironie an. Sein Kriegsschauplatz erscheint zunächst als eine bunte, synthetisch wirkende Natur, als ein Meer aus Blumen, in dem auch eine an Naturklängen orientierte sanfte Musik ertönt.

Was Angel Soldier uns vorführt, könnte also auf den ersten Blick eine Darstellung des Paradieses sein. Doch dann wird man gewahr, dass sich Soldaten mit Gewehren durch die Blumen bewegen. Dass man sie nicht auf Anhieb gesehen hat, liegt daran, dass sie Camouflage-Kleidung tragen. Diese ist nicht wie übliche Tarnfarben, sondern weist das gleiche knallbunte Blumenmuster auf wie die Umgebung. Die Soldaten verkörpernden Laiendarstellern engagierte Lee Yongbaek 2009 für einer Performance im Nationalmuseum für modern Kunst in Seoul, wo sie sich zusammen mit zwölf Musiker zwischen mehreren parallelen Hecken hin- und her bewegten. Als dauerhaftes Werk lebt Angel Soldier in Form einer Videoprojektion und großformatiger Fotografien weiter.

Lee Yongbaek treibt ein raffiniertes Spiel mit Sicht- und Unsichtbarkeit, indem er uns vorführt, dass auch etwas ansonsten weithin Sichtbares optisch verschwindet, wenn es sich einer ebenso poppigen Umgebung anpasst. Für echte Kriege sind seine Tarnanzüge gleichwohl kaum eine Empfehlung. Aber geht es vielleicht um ganz andere Formen des Krieges, etwa diejenigen, die Lee Yongbaek in seinem Beruf erlebt? Auf den blumenbemusterten Kriegsuniformen sieht man Schilder mit Namen berühmter koreanischer Künstler, und die für die militärischen Ränge stehenden Abzeichen zeigen die Ränge dieser Künstlers in der Kunstwelt an, die sicher nicht alle kampflos erreicht wurden.

Ein anderes prägnantes Werk macht im direkten Wortsinn deutlich, dass wir in der Kunstwelt in der Schusslinie stehen. Wenn man sich bei Broken Mirror vor den wie ein Bild an der Wand hängenden Spiegel stellt, ertönt ein lauter Gewehrschuss und drei Treffer scheinen einen Spiegel zu durchschlagen. Doch dann verschwinden die Löcher wieder, bis man selbst oder der nächste Betrachter einen erneuten donnernden Einschlag auslöst.

Auch hier treibt Lee Yongbaek ein raffiniertes Spiel mit dem Sichtbaren. Broken Mirror steht in der Tradition des Trompe-l’Oeil, bei der Gemaltes uns vortäuschen soll, dass es sich um reale Objekte handelt. Spiegel gehören zu den größten

Herausforderungen der Augentäuschungskunst, denn anders als „echte“ sind gemalte Spiegelbilder dauerhaft. Diesen „Mangel“ hat Lee Yongbaek dank digitaler Technik überwunden, indem er die Täuschung des durchschossenen Spiegels immer wieder verschwinden lässt.

Das Umfunktionieren des Spiegels gegenüber seiner üblichen Funktion knüpft auch an Motive des Surrealismus an, der westlichen Kunstrichtung, die neben Pop Art und Fotorealismus am deutlichsten ihre Spuren in Lee Yongbaeks Werk hinterlassen hat. So lässt sich Broken Mirror auch als Nachfolger des Sprungs in den Spiegel sehen, den Jean Cocteau in seinen Film Le Sang du Poète (Das Blut des Dichters)vorführt, oder der Reproduction Interdite von René Magritte, bei der ein gemalter Spiegel die in ihn blickende Person nicht von vorn, sondern von hinten zeigt.

Als „verbotene Reproduktion“ könnte man auch den Eingriff in die biologische Zeugung sehen. Die Skulptur Pieta: Self-death greift ein bekanntes Motiv der christlichen Ikonographie auf: der tote Christus auf dem Schoß der Maria. Die Komposition orientiert sich deutlich an der berühmten Marmorskulptur Michelangelos, übernimmt auch die leicht gesenkte Kopfhaltung der Maria. Doch Lee Yongbaek zeigt uns keine menschlichen Figuren, sondern schematische Gliederpuppen, wobei der Körper der Maria die Gussform ist, aus der die Figur des Jesus hergestellt wurde. Es handelt sich um einen besonders raffinierten Kommentar zum Thema natürlich/künstlich. Der deutliche Verweis auf die „künstliche“ Erzeugung der Skulptur und ihr roboterhaftes Aussehen verknüpft sich assoziativ mit der ebenso wenig den Gesetzen der Biologie folgenden Empfängnis der Maria.

Aber Lee Yongbaek möchte nicht als Koreaner an den Grundfesten der christlichen Heilslehre rütteln. Er möchte uns eher auf sanfte Weise mahnen, uns nicht an der göttlichen Schöpfung zu vergreifen. Eine zweite, als Pendant gedachte Skulptur Pieta: Self-hatred zeigt, wie die gegossene Figur dabei ist, die Gussform, aus der sie hergestellt wurde, zu attackieren und zu zerstören. Es handelt sich gleichsam um das Frankenstein-Thema, bei dem der Schöpfer selbst Opfer eines von ihm geschaffenen Wesens wird.

Lee Yongbaeks Umgang mit religiösen Motiven ist nicht gerade zurückhaltend. Bei In-between Jesus and Buddha lässt er den leidenden Jesus und den lächelnden Buddha mittels Morphing zu einem Phantombild verschmelzen. Was ist entstanden? Ein Bild der Versöhnung? Man könnte darin gleichsam ein Phantombild der gelungenen Globalisierung sehen, die erst dann realisiert wäre, wenn sich die Weltreligionen versöhnlich miteinander verschmelzen ließen.

Aber Lee Yongbaek lässt keinen Zweifel daran, dass er dieses Bild nur künstlich erzeugen kann. Künstlich sind auch die Fische, die sich auf dem akkurat gemalten, wie eine Fotografie wirkenden Gemälde Plastic Fish wie ein Ornament über die Fläche verteilen. Es handelt sich um ein Motiv, das sich auch gut als Bildschirmschoner eignen würde. In den Zeiten, als es noch kein Fernsehen und keine Computer gab, war neben dem Kaminfeuer das Aquarium der bevorzugte häusliche „Bildschirm“, neben dem Gemälde an der Wand.

Lee Yongbaek führt die künstlichen Fische gleichsam vom PC-Schirm über die Fotografie in die Malerei zurück und reflektiert damit auch eine Mediengeschichte der Ersetzung des Natürlichen durchs Künstliche. Dass Plastikfische normalerweise Anglern als Köder dienen, um echte Fische zu fangen, wird auch zur Metapher für das „Einfangen“ der Natur durch die Kunst. Aber Lee Yongbaek glaubt nicht daran, dass die Natur wirklich ersetzt werden kann. Neben seiner Arbeit als Künstler begibt er sich auch regelmäßig unter Wasser, um Naturdokumentarfilme zu drehen.

Ludwig Seyfarth – August, 2014

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